snail_in_motion - 2006/04/23 23:57
Es gibt nichts, was es im Iran nicht gibt. Der einzige Unterschied zum Westen besteht darin, dass das, was hierzulande auf offener Straße passiert, in der islamischen Republik hinter verschlossenen Türen stattfinden muss. Sex, Drogen und Alkohol - auch in Teheran können Partynächte lang sein. Solange man sich nicht von der Moralpolizei erwischen lässt.
Davon, vor allem aber von der Sehnsucht nach einem Leben ohne Zwang, ohne das enge Korsett von Bekleidungs- und Verhaltensvorschriften, erzählen Tausende Internet-Tagebücher - so genannte Weblogs. Diese aufmüpfigen, meist von Jugendlichen verfassten Kommentare zum Alltagsgeschehen haben sich längst als zentrale Austauschplattform für regimekritische Geister im und außerhalb des Iran etabliert.
64.000 solcher Weblogs gibt es heute. Und trotz akribischer Versuche der Regierung, sie zu filtern und zu zensurieren, wachsen ihre Leserzahlen beständig. Manche gehen sogar soweit zu sagen, dass sich dort, im virtuellen Untergrund, zur Zeit eine stille Revolution vollzieht.
Auch der Wiener Schriftsteller und Exil-Iraner Hamid Sadr ist regelmäßig auf den Websites der jungen Protestgeneration vertreten. Veröffentlicht dort eigene Texte in Persisch, und hält so zu anderen Schriftstellern im Land Kontakt. Für ihn schaffen die Webtagbücher nicht nur eine wichtige Brücke in die verloren gegangene Heimat. Sie repräsentieren auch eine neue Sprache, eine neue Form von Alltagsliteratur im Iran.
snail_in_motion - 2006/04/23 18:12